Lyrik/Text - Auswahl


Wenn du mich fragst ...

 

wie geht es dir

 

fühlst du dich oft

und vor allem im eigenen Kopf

zu Hause hörst du des Morgens

bei offenen Fenstern der Vögel

Gesänge und ihren Dialogen zu

 

sage ich dir

 

ich fühle mich oft

so neben dem Sächlichen zwischen

den Dingen fern den Menschen

und nah den Tieren wenn sie

mir plötzlich begegnen

 

dann bin ich und schaue

 

wie sie mich ansehen

sehe mich in ihren Augen

in Facetten bunt oder grau

wie alle Katzen bei Nacht

nicht das Rot meiner Lippen

doch mein blasses Gesicht

Umrisse des Faltenwurfs

meines Kleides

 

und einen Lidschlag lang

dass ich eine von ihnen bin

eine kurze Begegnung im Jetzt

ein Wirksame ihres Augenblicks

mb 24.05.2022

 


Aufhören.

 

Nicht alles was leise

ist erträglich

Münder machen

mehr und mehr zunichte

 

die lauten Bilder bleiben

die Blicke töten können

 

das Auge verlangt

wider und wider Sprüchliches

die Ohren legen

Scheuklappen an.

mb 25.04.2022

 


Generationen.

 

In dem großen alten Haus
steht die Zeit nicht still
Mütter haben hier gelebt
mit Kind und Kindeskindern
manche wie Mägde
Tiere im Stall
die Überleben garantierten

Väter kamen nicht mehr heim
Brüder und andre nahmen
ihre Stellen ein

mein Puls weckt Bilder auf
klopft Türen aus den Angeln
Erinnerungen Raum für Raum
greifen nach mir

und durch ein Fenster sehe ich
den alten Apfelbaum
der Jahr für Jahr noch Früchte trägt
als sei nichts faul
an der Geschichte
die Jahr für Jahr Generationen prägt.

MB 2021


Hingabe geschieht.

 

Vorübergehendes bleibt
an mir hängen
die Wildblütenstäube
in den Falten meines Kleides
hautzarter Stoff
am eigenen Leib

zu erfahren was geschieht
dreh ich mich im Wind
in meine Himmelsrichtung
die Hierseits ist

eine Wimper hält
den Regentropfen
für eine Träne. zu schwer
wird er zum Rinnsal
auf meiner Wange

wohin fließe ich
wenn alles fließt
und meine Fragen bleiben

MB 2021


Neben an Neben.

 

Im Haus nebenan brennt
in einem Zimmer
die ganze Nacht Licht

am Tag ist das Fenster
besonders dunkel
manchmal erscheint dahinter
ein blasses Gesicht

es schaut in das Haus nebenan
und spricht
eine Zeichensprache
die man dort nicht versteht.

MB 2021

Video zum Gedicht Neben an Neben:


Sinnfragezeichen.

 

Die ersten Zweifel im neuen Jahr
speist der lautlos fallende Schnee
und das sich munter vergnügende Krähenpaar
auf dem hauchdünnen Pfützeneis

Schwarz auf Weiß sehe ich das Treiben da draußen
und die Zeichensprache der freien Natur

doch ist das Beweis für einen Sinn
oder bin ich selbst auf der falschen Spur?

denn der Schnee bleibt nicht liegen
die Vögel fliegen
mir aus den Augen
und weg vom Fenster ist die Szene verschwunden

wer weiß - vielleicht seh ich auch nur Gespenster?

MB 2021


Letzte Sommertage. Draußen

 

Vor zwei Augenpaaren

sticht ein Insekt ins Getränk

Sonnenlicht schimmert

auf dem zitternden Nass

im Wasserglas

 

ein hungriger Gast

blickt hoch ins Ahorndach

aus dem sich ein Blatt verirrt

in den gemischten Salat

vor seinem Mund ohne Schutz

 

die Schnecke Zeit kriecht

auf leisen Sohlen

dem Abstand entgegen

der zwischen Tischen und Bänken

verhohlen weilt.

MB 2020


Ein Verbleiben.

 

Jeden Abend um die gleiche Zeit

geht sie durch eine Hintertür

in die Vergangenheit

bleibt lange dort

bis sich der erste Sonnenstrahl

in ihrem Haar verfängt

 

zurück in ihren Räumen

sieht sie durchs Fenster ihren Träumen nach

gibt sich für einen Augenblick dem Abschied hin

und summt darin das immerselbe Lied.

MB 2020



Es kann sein

 

dass es eines Nachts Tag wird

sowie der Sommer bereits

im Frühjahr beginnt und der Herbst

erst im Winter.

 

Es kann sein

dass unsere Haut

stetig dicker wird

weil uns Heißes zunehmend kalt lässt.

 

Gegenwarten wir ab

was da alles durch uns

selbst auf die anderen zukommt

die nicht mehr nachkommen können?

MB 2019

 


Alles ist ein Mehr aus Worten.

 

Wir sitzen draußen
Gesprächsstoff weht herüber
Kleinlaute sind in aller Munde
und dazwischen
auch die großen übers Wetter
das dieses Jahr besonders anders ist
und über all das Andere
das auf AntWorte drängt

nebenan geht im Schatten des Baumes
gerade die Sonne weg bis zum Hals
und darüber hinaus
ist ringsum Kühle spürbar

der Kellner kommt
fragt nach weiteren Wünschen
nein danke alles gut
sagt der mit den Eisfüßen unterm Nachbartisch

Allesgut ist das Zweiwort des Tages
das den Einspruch kleinhält

selbst für die Biene
die ins halbvolle Glas Saft fällt
ist nicht alles gut
geschweige denn für den Augenblick
der das aushält
bis sich nichts mehr rührt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

MB 2018

 


Stirndunkeln.

 

Bei Anbruch der Dunkelheit
erstiegen wir die Sternwarte
noch auf der Wendeltreppe
war ein Schwindel spürbar
das Immerfort als Bewegungsmittel-
weg vom Boden nach ganz oben

durch den Spalt der Kuppel
drangen längst vergangene Ewigkeiten hinter unsere Stirn

[der Vorführer hatte die Taschenlampe vergessen
das Justieren des Spiegelteleskops
gelang ihm nur mühsam]



im Stillstand auf kleinstem Raum
wurden wir willkürlich zu Geduldigen

sahen die Gestirne ganz weit oben
spürten das Schweigen der Zeit
und im Restlicht unsere Unzulänglichkeit.

MB 2018

 


Absichtslos.

 

Heute ging ich immerfort
mitten am Tag stand nur
die Sonne und die Lerche
über ihrer Brut
lärmte eine Dauerarie

ein Weg von vielen
führte mich zum Wiesenhang
dort blökten Schafe im Chor
ich trug Immergrün
auf den Lidern

und ein Muttertier
säugte seine Jungen
das Sehen wurde auf einmal
wie Gold durch die Rapsblüten
trat ich mir einen fußbreiten Weg

krümmte ohne Absicht
nur einen Halm

was daraus wird
und aus allen
diesen vielen Feldern und Wiesen
das zu erwägen
umging ich heute.

MB 2014


 

 Sichtbildner.

 

Sehe Gesichter im Baum

zwischen Wind und Stille

hackt einem eine Krähe ein Auge aus

ein anderes lacht

hat Blüten im Haar

 

immer weiter geht es

in Wachstumsschüben

die nie enden

wenn keiner das Urteil fällt

 

finden meine Augen

was sie erfuhren

täglich Gesichter

das eigene nicht

 

und Wind kommt auf

bewegt meinen Blick

bläst mir ins Gesicht

dass alles verschwimmt

zu einem Baum

den ich noch nie gesehen habe

 

Veränderung treibt mir Bilder aus

andre deutlich voran

jetzt ist es ein Zweig

er wiegelt Blätter auf

 

dort grün hier weiß

auf meinem Tisch

bietet sich offenbar die Gelegenheit

mich nicht aus den Augen zu verlieren.

MB 2011


 

 

Sieben Atemzüge.

 

Ich fülle meine Lungenflügel
mit sieben tiefen Atemzügen
lasse meine Schwere los

du kannst meiner Richtung folgen
mich am Flügelschlag erkennen
deine Zunge lösen
meinen Namen und mich Mädchen nennen

augenblicklich wirst du
ein weiser Mann
der nicht lügen kann
weiß Gott
den es nicht gibt
ob mein Puls der Schmerz der Zeit ist
der vergeht.

MB 2010


 

 

Sieben Murmeln.

 

Wir murmeln mit sieben Glaskugeln
du liest Federn auf
wir üben Federball
für den freien Fall

ich zaubre bunte Bänder
und werfe Schlangen in die Luft
damit fesseln wir einen Ballon
an unsre Fußfesseln
lassen alle Leinen los
und uns wie Drachen steigen

in dem Augenblick
wenn uns nichts mehr stört
was uns selbst gehört
und uns nichts beschwert
fliegen wir uns frei.

MB 2010


 

Kopflose Zeitform.

 

Knöchern ist sie
die zarte Decke
die einen Kern verbirgt
und Namen von Namenlosem
fest verhüllt

das Unermessliche
das nie Gesagte
wandelt darin
auf freien Füßen
wirbt um des Innenohres Augenmerk

 

verurteilt ist die Schale
die diesen Kern enthält
zur Endlichkeit

ist die Gefangenschaft vorbei
indem sie birst
zersplittert

löst sich das Unvergängliche
befreit

aus jeder Zeit.

MB 2009


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